Mann markiert etwas auf einem Kalenderblatt; Gefahren der Timing-Strategie am Aktienmarkt

Die Gefahren der Timing-Strategie

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8. September 2023 // Geldanlage

Ein Verpassen der besten Aktientage ruiniert die Performance. Das belegt eine Untersuchung, bei der US-Börsendaten seit 1926 analysiert worden sind. Sie zeigt die Schwierigkeiten der Timing-Strategie.

Im Oktober 2022 hatten Aktieninvestoren einen schweren Stand. Die Inflation​​ stand weltweit vor ihrem Höhepunkt. Viele Notenbanken erhöhten die Zinsen bei jeder Sitzung um sagenhafte 0,75 Prozentpunkte. In Europa drohten nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine besondere Gefahren, etwa die Gasrationierung aufgrund ausbleibender russischer Lieferungen.  

Die Marktteilnehmer waren sich überwiegend einig, dass im Jahr 2023 eine schwere Rezession herrschen wird. Seit Jahresanfang 2022 sind zu diesem Zeitpunkt bereits Verluste im MSCI World von über 25 Prozent aufgelaufen.[1] Ein guter Zeitpunkt, um mit der Timing-Strategie zu investieren?

Ein Market-Timer - also jemand, der seine Aktienquote je nach Situation hoch- und runterfährt - hätte viele Gründe gehabt, zu diesem Zeitpunkt komplett aus dem Aktienmarkt auszusteigen. Dadurch hätte er jedoch in den folgenden zehn Monaten im MSCI World über 30 Prozent an Performance versäumt.

Analyse des US- Aktienmarktes seit 1926

Die weitere Untersuchung analysiert, inwieweit ein Verpassen der besten Aktienphasen die Performance schmälert. Dabei liegen die Tages- und Monatsdaten des amerikanischen Gesamtmarktes von Ende Juni 1926 bis Ende Juni 2023 zugrunde. [2]  

In Abbildung 1 ist in Blau die Performance der Tagesdaten auf einer logarithmischen Skala verzeichnet. Die durchschnittliche Rendite[3]liegt in diesen 97 Jahren bei 10,05 Prozent p.a. Aus einem US-Dollar im Jahr 1926 wurden 10.826 US-Dollar Endvermögen in 2023. Diese Kennzahlen sind in Tabelle 1 verzeichnet. 

Abbildung 1

Timing-Strategie - eine Untersuchung zu den Gefahren

 

Betrachtung Jahrzehnt für Jahrzehnt

Es wird angenommen, dass in jedem Zehnjahreszeitraum an den 10 besten Tagen pro Jahrzehnt nicht in den Aktienmarkt investiert wird, sondern stattdessen das Geld unverzinst auf einem Konto liegt.

Die Untersuchung beginnt mit dem Zeitraum Juni 1926 bis Juni 1936, dann folgt Juni 1936 bis Juni 1946 usw. Der letzte Zeitraum von Juni 2016 bis Juni 2023 hat hierbei nur einen Umfang von 7 statt von 10 Jahren. Auch in dieser Periode wurden die besten 10 US-Börsentage entfernt.

Der mit 9,3 Prozent Rendite beste Tag seit 2016 war beispielsweise eine starke Gegenbewegung in der aufflammenden Corona-Krise am 24.03.2020. Insgesamt sind 8 der 10 Tage mit der höchsten Rendite in diesem Zeitraum aus dem März und April 2020. Bedenkt man die große Unsicherheit in diesen Monaten der entstehenden globalen Pandemie, so wäre nach der Timing-Strategie ein Verzicht auf Aktien auch in dieser Zeit sehr nachvollziehbar (aber im Nachhinein falsch) gewesen.  

Ohne die besten Aktientage schrumpft die Performance stark  

Die durch das beschriebene Vorgehen entstehende Performance ist in Blau in Abbildung 1 aufgetragen. Die entsprechenden Kennzahlen finden sich wiederum in Tabelle 1.  

  • Das Verpassen der 10 besten Tage pro Jahrzehnt führt zu einer dramatisch schlechteren Performance. Statt über 10.000 US-Dollar erreicht der Investor nach 97 Jahren nur 84 US-Dollar. Dies entspricht einer durchschnittlichen Rendite von 4,67 Prozent p.a. Obwohl an lediglich 0,4 Prozent der Tage nicht am Aktienmarkt investiert wurde, fällt das Endvermögen dramatisch kleiner aus.
  • Eine Nicht-Anlage am Aktienmarkt an den 20 besten Tagen pro Jahrzehnt führt sogar nur zu einer Verdreifachung des Einsatzes bzw. einer mittleren Rendite von 1,21 Prozent p.a.
  • Versäumt man die 24 besten Tage je Jahrzehnt, so verliert man in dieser Stichprobe Geld, die Rendite ist negativ.  

Tabelle 1

Market Timing - Ergebnisse und Gefahren

Ganz ähnlich sieht es mit Monatsdaten aus:

  • Ein Verpassen des besten Monats je Jahrzehnt reduziert das Endvermögen um 75 Prozent, es beträgt also nur noch ein Viertel.
  • Die mittlere Rendite beträgt dann 8,42 Prozent p.a. (statt 10,05 Prozent p.a.).
  • Bei den besten fünf Monaten bleiben nach 97 Jahren nur 41 US-Dollar bzw. 3,91 Prozent Rendite p.a.
  • Bei Nicht-Investition in die besten 11 Monate sinkt das Vermögen.  

Tabelle 2

Market Timing - Beispiele

 

Hauptproblem der Timing-Strategie: Beste Aktienperioden kaum erkennbar

Die vorgestellte Untersuchung ist so natürlich nur im Rückblick durchführbar. Denn im Vorhinein kann niemand die besten Tage oder Monate im Jahrzehnt vorhersagen. Dies wird auch an der Korrelation der besten 10 bzw. 20 Tage je Jahrzehnt zum jeweiligen Vortag ersichtlich, die beide leicht negativ, aber sehr nahe bei Null liegen.  

Bei dem besten und den fünf besten Monaten ist die Korrelation zum Vormonat jeweils positiv. Alle Korrelationen sind nicht signifikant von Null verschieden.[5] Ein einheitliches Bild ergibt sich nicht. Das bedeutet: Die besten Perioden erscheinen unvorhersehbar.   

Risikobegrenzung nicht durch Timing-Strategie, sondern durch Diversifikation 

Die vorgestellte Untersuchung zeigt, dass für Anleger, die sich immer mal wieder vom Aktienmarkt verabschieden, um Schwächephasen zu vermeiden, eine große Gefahrbesteht: Ihnen könnten die besten Perioden und damit einen Großteil der langfristigen Performance von Aktien entgehen.

Ist das Ziel dieser Timing-Strategie eine Begrenzung des Risikos, so lässt sich dies viel besser über Diversifikation erreichen. Statt nur in Aktien zu investieren, werden andere Vermögenswerte wie Staats- oder Unternehmensanleihen oder Geldmarktprodukte ins Portfolio aufgenommen. Hierdurch wird das Risiko deutlich reduziert. Trotzdem partizipiert der Anleger an jeder noch so unerwarteten Kurssteigerung an den Aktienmärkten. 

Fazit  

  • Ein Market-Timer mit perfekter Vorhersagekraft, der an den besten Tagen investiert und an den schlechtesten Tagen nicht investiert ist, wird eine herausragende Performance generieren. Eine solche Timing-Fähigkeit ist jedoch unrealistisch.  
  • Ein Market-Timer, der rein zufällig investiert, wird ein Teil der Risikoprämie von Aktien verlieren.  
  • Ein Market-Timer wie in dieser Untersuchung, der regelmäßig die besten Tage vermisst, büßt bei seiner Performance dramatisch ein. Dabei reichten in der untersuchten Stichprobe ein Verpassen von weniger als 1 Prozent der besten Tage pro Jahrzehnt aus, um keinerlei Gewinne mit Aktien zu erzielen.
  • Der passive Investor, der auf Market-Timing verzichtet, ist demgegenüber deutlich im Vorteil. Er bleibt dem Aktienmarkt auch in schwierigen Phasen wie der Corona-Krise oder den multiplen Krisen in 2022 treu und verpasst dadurch nicht die unvorhersehbaren starken Kurssteigerungen. Das Risiko sollte dabei durch eine breite internationale Streuung über verschiedene Assetklassen reduziert werden. Wir bei growney verfolgen genau diese langfristig überlegene Strategie.  

Fußnoten

[1] Alle in diesem Artikel verwendeten Daten über die MSCI Net Indizes in US-Dollar sind den Fact-Sheets von MSCI entnommen, Stand 31.07.2023
[2] Datenquelle für die Performance des amerikanischen Aktienmarktes: Data Library Kenneth French, https://mba.tuck.dartmouth.edu/pages/faculty/ken.french/data_library.html
[3] Hiermit ist das annualisierte geometrische Mittel gemeint.
[4] Das Endvermögen ohne Timing unterscheidet sich zwischen Tages- und Monatsdaten minimal, da die Portfolien je nach Frequenz unterschiedlich gebildet werden. Details dazu siehe Data Library Kenneth French, https://mba.tuck.dartmouth.edu/pages/faculty/ken.french/data_library.html
[5] Beim Test auf eine Korrelation von Null wurde jeweils ein Signifikanzniveau von 1 Prozent gewählt.
Prof. Dr. Dietmar Hillebrand
Prof. Dr. Dietmar Hillebrand
Wissenschaftlicher Berater von growney

Bei der Asset Allokation und Fondsauswahl arbeitet growney eng mit Prof. Dietmar Hillebrand zusammen. Er ist Leiter des Steinbeis Transferzentrums Quantitative Finance und Professor für Wirtschaftsmathematik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Sein großes Ziel ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse für Privatanleger nutzbar zu machen.



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