Die Preissteigerungen im Alltag machen sich beim Einkauf schon deutlich bemerkbar. Deswegen fragen sich bereits viele …
Auffällig ist dabei vor allem eine unterschiedliche Entwicklung in Europa und in den USA. Während die Werte in der EU mittlerweile zweistellig sind, sinkt die Inflation in den USA mittlerweile sogar. Das liegt an großen strukturellen Unterschieden: Obwohl die Inflation in Deutschland bzw. in der EU und in den USA nahezu zeitgleich auftritt, hat sie teilweise unterschiedliche Ursachen. Das lohnt es sich genauer anzugucken.
Inflation in der EU und in Deutschland entsteht auf der Angebotsseite
In Europa, insbesondere in Deutschland, entstehen die Preissteigerungen auf der Angebotsseite: Inflationsursache sind vor allem die gestiegenen Energiekosten. Sie betreffen viele wirtschaftliche Bereiche, etwa die Produktion, den Transport, den Handel. Der Preis wird so maßgeblich durch einen externen Kostenschock verursacht, die Inflation entsteht weit weniger auf dem Markt selbst durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, sondern durch die stark steigenden Energiepreise, die viele Bereiche des Wirtschaftslebens umfassen.
Problem dabei: Reagieren die Konsumenten auf die hohe Inflation mit Kaufzurückhaltung, wirkt sich dies nicht unmittelbar auf die Preisgestaltung aus. Die Preise bleiben hoch oder werden erhöht, weil eben die Kosten deutlich gestiegen sind. Aufgrund der gestiegenen Energiepreise für Produktion und Transport reagieren die Hersteller auf Kaufzurückhaltung oft mit einer Drosselung der Produktion – dann kann auch bei sinkender Nachfrage der hohe Preis am Markt durchgesetzt werden. Einen Anreiz für Preissenkungen oder ein gleichbleibendes Preisniveau entsteht so nicht.
Entsteht die Inflation auf der Angebotsseite – z.B. durch einen externen Preisschock, der viele Branchen und Bereiche umfasst – dauert es daher oftmals länger bis der Preisanstieg abflacht.
Inflation in den USA: Nachfrage treibt den Preis
Ganz anders in den USA: Die Preissteigerung entsteht hier vor allem durch die hohe Nachfrage nach der Corona-Pandemie. Das erlaubte Unternehmen zuletzt, ihre Produkte und Dienstleistungen teurer zu verkaufen als bisher. Die Besonderheiten in den USA – deutlich geringere soziale Absicherung und hoher Verschuldungsgrad – führte während der Corona-Einschränkungen zu einer besonders starken Konsumzurückhaltung. Das hat sich mittlerweile umgekehrt: Die Menschen in den USA kaufen wieder stark ein, es entsteht eine ausgewöhnlich hohe Nachfrage. Das ist ein wesentlicher Faktor für die Preissteigerungen und die Inflation in den USA - die Inflation entsteht eher auf der Nachfrageseite.
Der Effekt lässt aber schnell nach, sobald die Käufer mit Zurückhaltung auf die Inflation und die steigenden Preise reagieren. Dann entsteht der Anreiz zur Preissenkung bzw. dazu, sie nicht weiter zu erhöhen. Für die Unternehmen ist das auch tatsächlich möglich, weil die Kostensteigerung durch Energiepreise sie in den USA weit weniger stark betrifft als in Deutschland bzw. Europa. Das liegt daran, dass die USA mehr Energie selbst produzieren als sie verbrauchen.
Die wichtigsten Unterschiede und Einflussfaktoren
Neben diesem wichtigen Unterschied zwischen angebotsgetriebener Inflation in der EU (inkl. Deutschland) und nachfragegetriebener Inflation in den USA gibt es weitere zentrale Faktoren, die sich bemerkbar machen:
Einfluss der Energiepreise:
Deutschland muss einen Großteil der fossilen Energieträger aus dem Ausland importieren. Das gilt insbesondere für Erdöl und Erdgas. Insofern ist die Entwicklung der Energiepreise in Deutschland besonders stark von der Entwicklung der Weltmarktpreise für Gas und Öl abhängig. Für die USA gilt das in weit geringerem Maße, weil viel Öl und Gas selbst im eigenen Land gefördert werden. An den Weltmärkten kann die USA so teilweise sogar als Exporteur auftreten und beispielsweise Deutschland mit Flüssiggas (LNG) versorgen.
Effekt des starken US-Dollars:
Der aktuelle Wechselkurs von Euro und US-Dollar wirkt sich zusätzlich auf die Inflation in Deutschland und Europa aus. Seit Jahresbeginn ist der Kurs des Euro gegenüber dem US-Dollar um 12,4 Prozent gefallen. Das bedeutet: Alle Produkte und Güter, die gewöhnlich in US-Dollar gehandelt werden, sind in Euro teurer geworden. Das trifft beispielsweise auf Gas und Öl zu, deren Referenzkurse in der Regel in US-Dollar angegeben werden.
Durch die starken Änderungen beim Euro-Dollar-Kurs hat sich die Preisentwicklung bei Öl und Gas also in Euro besonders extrem dargestellt.
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Für das Barrel* Rohöl (Nordseemarke Brent) waren so zu Jahresbeginn 75 US-Dollar zu zahlen, aktuell sind es 89 US-Dollar – ein Anstieg um 18,4 Prozent. Umgerechnet in Euro war der Anstieg deutlich stärker: Zu Jahresbeginn waren 66 Euro für das Barrel Rohöl fällig, aktuell sind es 89 Euro. Anstieg: 35,2 Prozent.
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Noch extremer ist die Auswirkung auf die Gaspreise: In US-Dollar ist für Erdgas seit Jahresbeginn ein Anstieg von 39,1 Prozent zu verzeichnen – von 3,72 US-Dollar auf 5,19 US-Dollar je Million British thermal unit (MMBtu**). Bedingt durch den schwachen Euro macht das in Euro einen Anstieg von 58,8 Prozent – von 3,28 Euro auf 5,21 Euro je MMBtu Erdgas.
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Ähnliche Effekte lassen sich auch bei allen anderen Produkten beobachten, die gewöhnlicherweise in US-Dollar gehandelt werden. Dazu gehören beispielsweise Lebensmittel, die Deutschland teilweise in großem Stil auf dem Weltmarkt einkauft. Auch hier führt der Euro-Dollar-Kurs dazu, dass die Inflation in Deutschland deutlich höher ausfällt.
Die Inflation in den USA wird durch den aktuell starken Dollar-Kurs teilweise sogar gebremst. In Euro gehandelte Güter sind für Menschen in den USA durch den geänderten Wechselkurs nämlich günstiger geworden. Ein in Deutschland hergestelltes Maschinenteil für den Preis von 2.000 Euro kostete in den USA zu Jahresbeginn umgerechnet knapp 2.275 US-Dollar (zollfrei). Heute sind es dagegen nur noch 1.993 US-Dollar. Das ist ein deutlicher Unterschied, von dem Konsumenten und Unternehmen in den USA derzeit profitieren.
Zinserhöhung durch die Notenbanken Fed und EZB
Bei der Bekämpfung der Inflation ist zudem deutlich, dass die US-Notenbank (Fed) in den letzten Monaten schneller und stärker reagiert hat als die Europäische Zentralbank (EZB). So liegt der Leitzins für den US-Dollar seit September 2022 bei 3 bis 3,25 Prozent, der Euro-Leitzins seit 27. Oktober bei 2 Prozent. Problem der Leitzins-Erhöhungen: Für Unternehmen wird die Finanzierung ihres Geschäfts über Kredite dadurch teurer. Für Unternehmen in Europa, die bereits stärker unter den steigenden Energiekosten leiden, wäre das weit stärker problematisch als für US-Unternehmen. Deswegen rechnen Experten in den USA auch mit weiterhin schnelleren und stärkeren Zinserhöhungen als in Europa.
Welche Länder in Europa besonders stark betroffen sind
Wenn sich die Inflation in Deutschland mit 10 Prozent schon deutlich bemerkbar macht und die Menschen beim Einkauf stärker auf die Preise schauen, dann ist es in anderen EU-Staaten deutlich schlimmer: In den baltischen Staaten Estland (24,1 Prozent gegenüber dem September 2021), Litauen ((22,5 Prozent), Lettland (22,0 Prozent) sowie in Ungarn (20,7 Prozent) ist der Effekt deutlich höher.
Das liegt an strukturellen Besonderheiten in diesen Ländern:
- Zum einen gibt es einen geringeren Lebensstandard. Das bedeutet, dass die Ausgaben für grundlegende Güter Energie und Lebensmittel einen deutlichen höheren Anteil an den Ausgaben eines durchschnittlichen Haushalts ausmachen. Genau diese Produkte sind nun aber deutlich teurer geworden, so dass sich bei der Berechnung der Inflation höhere Werte ergeben.
- Zum anderen hat auch die wirtschaftliche Nähe zu Russland und der Ukraine ihre Auswirkungen. Traditionell spielen die Handelsbeziehungen zu Russland und der Ukraine im Osten der EU eine viel wichtigere Rolle. Der Angriff Russlands gegen die Ukraine und die brutale Zerstörung von Produktion und Infrastruktur sowie die Sanktionen machen sich hier daher stärker bemerkbar als sich das beispielsweise auf die Inflation in Deutschland auswirkt.
Am geringsten ist die Inflation in der EU übrigens in unserem Nachbarland Frankreich. Der Preisanstieg gegenüber dem Jahresmonat lag im September bei 6,2 Prozent. Hauptgrund: Die dortige Regierung hat massiv in die Energiepreise eingriffen.
Schon vor einem Jahr – im Oktober 2021 – wurde ein Energiepreisdeckel eingeführt: Die Preise dürfen um maximal 4 Prozent steigen. Damals hatte die Sorge vor dem russischen Angriff auf die Ukraine zu steigenden Preisen geführt, weil Russland bereits massiv Truppen an der Grenze zusammengezogen hatte. In Deutschland führte die Preisentwicklung damals zu einer Pleitewelle von Billigstromanbietern und Gasversorgern.
Höhere Preisstabilität in der Schweiz und in Japan
Noch geringer ist die Inflationsrate in anderen Ländern, z.B. in der Schweiz (im September 3,3 Prozent Preisanstieg gegenüber dem Vorjahresmonat) und in Japan (3,0 Prozent). Die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich:
Die Inflation in der Schweiz ist weit weniger stark, weil
- das Land kaum von Lebensmittelimporten abhängig ist und die Preissteigerungen in diesem Produktsegment deshalb kaum Auswirkungen haben,
- der Schweizer Franken zwar gegenüber dem US-Dollar im Jahresverlauf ebenfalls an Wert eingebüßt hat (-7,9 Prozent), aber in viel geringerem Maße als dies beim Euro der Fall ist (-12,4 Prozent). Dadurch ist auch der Effekt bei den in US-Dollar notierten Energiepreisen geringer als in der EU und in Deutschland.
In Japan sieht es dagegen ganz anders aus:
- Das Land ist besonders stark von Energielieferungen aus dem Ausland abhängig, ist also von den Preisentwicklungen auf dem Energiemarkt besonders betroffen.
- Zusätzlich hat der Japanische Yen noch stärker gegenüber dem US-Dollar an Wert verloren als der Euro: knapp 23 Prozent seit Jahresbeginn.
- Die Inflation in Japan fällt dennoch so gering aus, weil die Regierung mit massiven Finanzhilfen die Preise niedrig zu halten versucht.
- Auch geht die japanische Zentralbank (Bank of Japan) einen anderen Weg als etwa die EZB oder die Fed: Sie greift massiv mit Anleihenkäufen in die Märkte ein und erhöht so weiter die Geldmenge, steht aber perspektivisch so auch vor einem großen Schuldenproblem in der Zukunft.
Sonderfall Türkei: Preisanstieg bei über 80 Prozent
Extrembeispiel auf der anderen Seite ist die Türkei, die im September sogar eine Inflationsrate von 83,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat verzeichnete. Waren und Dienstleistungen, die vor einem Jahr 10.000 türkische Lira kosteten, haben damit heute einen Preis von 18.340 Lira. Sparen lohnt sich in solch einer Phase der Hyperinflation eigentlich gar nicht mehr. Wer 10.000 Lira auf dem Bankkonto liegen lässt, hat ein Jahr später nur noch eine Kaufkraft von 5.452 Lira – ein dramatischer Verlust.
Die Gründe der hohen Inflation in der Türkei liegen in einer komplett undurchsichtigen Geldpolitik. Immer wieder greift Präsident Recep Tayyip Erdogan selbst in die türkische Notenbank ein, hat bereits mehrfach die Chefs der Zentralbank entlassen, weil sie nicht auf seine Empfehlungen hörten. Durch den unberechenbaren Kurs verliert die Währung im internationalen Vergleich massiv an Wert: -28,7 Prozent gegenüber dem US-Dollar seit Jahresbeginn. Das führt zu einer regelrechten Flucht aus der türkischen Lira, viele Menschen in der Türkei kaufen stattdessen Euro, Dollar oder Krypto-Währungen wie Bitcoin.
Da die Türkei aber bei Waren und Produkten sehr stark von Importen abhängig ist, wird die Inflation in der Türkei so noch deutlich verschärft: Wenn der Wert der Lira sinkt, werden diese Einfuhren aus dem Ausland – in der Regel in Dollar oder Euro gehandelt – entsprechend teurer, die Preise steigen also weiter.
Gute Gründe für eine weltweit diversifizierte Geldanlage
Auch wenn Faktoren wie der Anstieg der Ölpreise und Gaspreise sich international auswirken, kann es doch sehr unterschiedliche Entwicklungen geben, abhängig von nationalen Besonderheiten, Wechselkursen und der politischen bzw. geldpolitischen Reaktion auf den Preisanstieg. So entwickelt sich die Inflation in den USA strukturell ganz anders als die Inflation in Deutschland und Europa.
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Auch je nach Branche können die Auswirkungen sehr unterschiedlich sein. So mehren sich die Berichte darüber, dass Energieunternehmen teilweise ganz gut an den gestiegenen Preisen mitverdienen. Auch sogenannte zyklische Konsumgüter – also Waren des täglichen Bedarfs, die oft unabhängig der wirtschaftlichen Entwicklung gekauft werden – sind in solchen Phasen oft weniger von Kaufzurückhaltung betroffen als andere Branchen.
Ein weltweit breit diversifiziertes Depot berücksichtigt genau das: viele unterschiedliche Länder, viele Branchen. So können Sie auch in schwierigen Marktphasen von der Entwicklung bestimmter Branchen oder Länder profitieren und verpassen nicht den Moment, in dem sich die Entwicklung auch wieder normalisiert. Dieser Zeitpunkt kann je nach Land extrem unterschiedlich ausfallen, weil die Inflation und ihre Auswirkungen nämlich sehr unterschiedlich ausfallen.